Epiktet – Zitate

Die wesentliche Aufgabe im Leben besteht darin, die Dinge zu erkennen und voneinander zu unterscheiden, um mir klar machen zu können, über welche äußeren Umstände ich keine Macht habe, und welche von Entscheidungen abhängen, die in meiner Macht stehen. Wo finde ich dann das Gute oder Böse? Nicht in den Dingen, die nicht in meiner Macht stehen, sondern in mir selbst, in den Entscheidungen, die ich treffe …

Was sind die Früchte dieser Lehrstunden? Nur der schönste und angemessenste Ertrag der wahrhaft Gebildeten: Gelassenheit, Angstlosigkeit und Freiheit. Wir sollten nicht den Massen trauen, die sagen, nur wer frei ist, kann gebildet sein, sondern vielmehr den Weisen, die sagen: Nur die Gebildeten sind frei.     

Die wahre Arbeit des Verstandes besteht in der Ausführung von Entscheidung, Verweigerung, Sehnsucht, Abwehr, Vorbereitung, Zweckbestimmung und Zustimmung. Was kann dann noch die angemessene Funktion unseres Verstandes vergiften und verstopfen? Nichts außer seine eigenen korrupten Entscheidungen. 

Einige Dinge stehen in unserer Macht, andere nicht. Wir beherrschen unser Denken, unsere Entscheidungen, unsere Wünsche und Abneigungen, kurzum, alles, was sich aus uns selbst heraus entwickelt. Wir beherrschen nicht unsere Körper, unseren Besitz, unser Ansehen und unsere Stellung, kurzum, alles, was sich nicht aus uns entwickelt. Die Dinge, die wir beherrschen, sind sogar von Natur aus frei, ohne Hindernisse und Beschränkungen, während jene Dinge, die wir nicht beherrschen, anfällig, abhängig und beschränkt sein können, und sie sind nicht unser eigen.  

Die Essenz des Guten ist eine bestimmte Form der bewussten Entscheidung, so wie die Essenz des Bösen eine andere Form ist. Welche Rolle spielen dann die äußeren Umstände? Sie sind bloß das Rohmaterial für unsere bewusste Entscheidung, erst im Zusammenspiel mit ihnen entwickelt sich das Gute oder Böse. Wie finden wir das Gute? Doch nicht, indem wir staunend das Rohmaterial betrachten. Denn wenn unsere Urteile über das Material geradlinig sind, dann treffen wir gute Entscheidungen, aber wenn diese Urteile verworren sind, dann fällen wir schlechte Entscheidungen.    

Denn wenn jemand darauf bedacht ist, bewusste Entscheidungen zu fällen, und die Konsequenzen bedenkt, dann gewinnt er gleichsam an Willenskraft, anderes zu vermeiden. Doch wenn er sich mit Bedacht von der bewussten Entscheidung abwendet und sich Dingen zuwendet, die nicht in seiner Macht stehen, mit dem Wunsch, das zu vermeiden, was andere beeinflussen, dann wird er nervös, ängstlich und unbeständig sein.  

Greife diesen Gedanken auf, sobald der Tag anbricht, und denke Tag und Nacht daran: Es gibt nur einen Weg zum Glück, und der besteht darin, alles, worauf du keinen Einfluss hast, aufzugeben, darüber hinaus nichts als deinen Besitz zu betrachten, alles andere Gott und dem Schicksal zu überlassen.

Wir beherrschen unsere bewussten Entscheidungen und alle Handlungen, die von dem moralischen Willen abhängen. Was wir nicht beherrschen, sind unsere Körper und all seine Einzelteile, unsere Besitztümer, Eltern, Geschwister, Kinder oder unser Land – alles, womit wir in Verbindung stehen.   

Ich bin dein Lehrer und du lernst in meiner Schule. Mein Ziel ist es, dass du die Vollendung erlangst, ohne Bürden, frei von zwanghaftem Verhalten, ohne Scham, befreit, aufblühend und glücklich, in kleinen und großen Dingen zu Gott aufschauend – dein Ziel ist es, all diese Dinge zu lernen und zu praktizieren. Warum vollendest du die Arbeit nicht, wenn du doch das richtige Ziel hast und ich sowohl das richtige Ziel als auch die richtige Vorbereitung habe? Was fehlt? … Die Arbeit ist gut ausführbar und das Einzige, das in unserer Macht steht … Lass die Vergangenheit hinter dir. Wir müssen nur beginnen. Glaube mir und du wirst sehen.   

Ein Podium und ein Gefängnis sind jeder ein Ort für sich, der eine liegt oben, der andere unten. Aber an beiden Orten wirst du die Entscheidungsfreiheit behalten, wenn du es wünschst. 

Es gibt drei Bereiche, in denen ein Mensch, der gut und weise sein will, ausgebildet werden muss. Der erste Bereich betrifft die Begierden und Abneigungen: Unsere Begierden dürfen uns nicht dazu treiben, Grenzen zu überschreiten, und unsere Abneigungen dürfen uns nicht in die Tiefe ziehen. Der zweite Bereich betrifft unsere Impulse, zu handeln oder es zu unterlassen – und im allgemeineren Sinne unsere Pflichten: Ein Mensch soll absichtsvoll handeln, aus gutem Grund, nicht unüberlegt. Der dritte Bereich befasst sich damit, frei von Trugschlüssen zu sein, er beinhaltet eine gewisse Gefasstheit und generell das Urteilsvermögen, die Bestätigung, die unser Verstand den Wahrnehmungen gewährt. Von all diesen Bereichen ist der wichtigste und dringlichste der erste, derjenige, der die Leidenschaften reguliert, denn wir entwickeln nur dann starke Gefühle, wenn wir hinsichtlich unserer Begierden und Abneigungen scheitern.     

Wenn du dich verbessern willst, sei damit zufrieden, ahnungslos oder dumm zu wirken, wenn es um irrelevante Dinge geht – tue nicht so, als wärst du besonders gescheit. Und wenn dich jemand wichtig findet, misstraue dir selbst.   

Wenn ich einen ängstlichen Menschen sehe, frage ich mich, was will diese Person? Denn wenn sie nicht etwas wollte, was außerhalb ihrer persönlichen Macht ist, warum sollte sie dann so ängstlich sein?

Wer ist denn unbesiegbar? Derjenige, der von nichts erschüttert werden kann, was außerhalb seiner Entscheidungsgewalt liegt. 

Behalte stets deine Wahrnehmungen im Auge, denn was du da beschützt ist nichts Geringeres als dein Respekt, deine Vertrauenswürdigkeit, deine Standhaftigkeit, dein Seelenfrieden, das Fehlen von Schmerz und Angst, in einem Wort, es ist deine Freiheit. Wofür würdest du dies alles hergeben?     

Wann immer du eine Verlockung verspürst, dann sieh dich vor, dass du nicht – wie bei jedem spontanen Eindruck – zu sehr mitgerissen wirst. Reagiere nicht sofort darauf, sondern gönn dir eine Pause. Dann denke über beides nach: Die Zeit, als du die Verlockung erstmals genossen hast, und die Zeit danach, wenn du es bereuen und dich dafür hassen wirst. Vergleiche dies mit der Freude und Zufriedenheit, die du verspürst, wenn du dich diesen Verlockungen grundsätzlich fernhältst. Doch wenn sich der scheinbar passende Moment zum Handeln ergibt, dann lass dich nicht von der Annehmlichkeit, der Wohligkeit und dem Reiz überwältigen, sondern bedenke hingegen, wie viel besser das Gewissen ist, wenn man den Drang, sich der Verlockung hinzugeben, überwunden hat. 

Es ist nicht möglich, Glück zu empfinden, wenn wir uns gleichzeitig nach etwas sehnen, das wir nicht haben. Das Glück hat alles, was es braucht, wie ein Wohlernährter, der weder Hunger noch Durst kennen sollte.     

So erkennt man einen wahren Athleten – es ist jemand, der sich rigoros vor falschen Eindrücken schützt. Bleibe standhaft, auch wenn du leidest, lass dich nicht von deinen Eindrücken überwältigen! Der Kampf ist hart, die Aufgabe göttlich – so erringt man Meisterschaft, Freiheit, Glück und Gelassenheit.   

Denke daran, dich im Leben stets so zu verhalten, als seist du bei einem Festbankett. Wenn etwas, das herumgereicht wird, bei dir ankommt, dann nimm dir eine bescheidene Menge. Es geht vorbei? Halte es nicht an. Es ist noch nicht bei dir angekommen? Lass dein Verlangen danach nicht überhandnehmen, sondern warte, bis es bei dir ankommt. So verhalte dich mit Kindern, dem Ehepartner, mit deiner beruflichen Position, mit Reichtum – und eines Tages wirst du es dir verdient haben, an einem Festbankett mit den Göttern teilzunehmen.    

Denke daran, dass es nicht nur unser Verlangen nach Reichtum und Erfolg ist, das uns unterjocht und erniedrigt, sondern auch das Verlangen nach Frieden, Freizeit, Reisen und Bildung. Um welches Objekt es sich handelt, ist egal – es ist der Wert, den wir einer Sache beimessen, der uns unterwürfig macht … Wo unser Herz hinstrebt, das ist unsere Bürde. 

Denke daran: Nicht derjenige, der es auf dich abgesehen hat und dich angreift, schadet dir – nein, der Schaden entsteht erst dadurch, wie du über diese Misshandlung denkst. Wenn also jemand deinen Ärger hervorruft, bedenke, dass es deine eigene Meinung ist, die den Ärger entfacht. Stattdessen sollte deine erste Reaktion sein, dass du dich von solchen Eindrücken nicht überwältigen lässt, denn mit genug Zeit und Distanz wird Selbstbeherrschung viel einfacher erlangt.  

Die Seele ist wie eine Schale Wasser und unsere Eindrücke sind wie die Lichtstrahlen, die auf die Wasseroberfläche fallen. Wenn die Wasseroberfläche unruhig ist, erscheint es einem, als würde auch das Licht sich bewegen, aber das stimmt nicht. Wenn also ein Mensch seine Selbstbeherrschung verliert, sind nicht seine Fähigkeiten und Tugenden in Bewegung, sondern die Seele, aufgrund derer diese existieren, und wenn die Seele zur Ruhe kommt, tun es auch die anderen Dinge.    

Wenn ein Kind in ein schmales Bonbonglas greift und die volle Faust nicht mehr aus der Öffnung bekommt, fängt es an zu weinen. Lass ein paar Bonbons fallen und du wirst deine Hand herausziehen können! Schränke deine Wünsche ein – lege dich nicht auf so viele Dinge fest und du wirst bekommen, was du brauchst. 

Um Philosophie zu beginnen, ist es besonders wichtig, über eine klare Wahrnehmung des eigenen Leitprinzips zu verfügen.    

Diese Dinge passen nicht zueinander. Du musst ein einheitlicher Mensch sein, entweder gut oder böse. Du musst sorgfältig an deinem eigenen Denken arbeiten oder aber an Dingen, die nicht in deiner Macht stehen. Gib gut auf dein Inneres acht, nicht auf das Außen, was so viel heißt wie: Bleibe dem Philosophen treu, sonst gehörst du zum Pöbel!

Diejenige Person ist frei, die nach ihren Wünschen lebt, weder erzwungen, noch behindert oder begrenzt ist, deren Entscheidungen nicht behindert werden, deren Wünsche sich erfüllen, und die sich nicht auf das einlässt, was sie abschreckt. Wer möchte denn im Selbstbetrug leben – aus der Bahn geraten, mit falschen Zielen, undiszipliniert, sich dauernd beschwerend, im Alltagstrott? Niemand. Es sind unwürdige Menschen, die nicht so leben, wie sie möchten – sie sind nicht frei.

Vermeide es, in der Öffentlichkeit häufig und ausgiebig von dem zu erzählen, was du erreicht hast und was dir widerfahren ist, auch wenn du es genießt, von deinen Fährnissen zu erzählen – so ist es für andere kein Vergnügen, sich deine Geschichten anzuhören.

Wenn jemand deinen Körper einer zufällig vorübergehenden Person geben würde, wärest du entsetzt. Aber deinen Verstand gibst du jedem Dahergelaufenen, lässt dich missbrauchen, bis du verstört und gepeinigt zurückbleibst – schämst du dich nicht?

Vor allem ziehe eines in Betracht: Lasse dich nie so stark an deine ehemaligen Bekannten und Freunde binden, dass sie dich auf ihr Niveau herunterziehen. Wenn du das nicht beachtest, bist du ruiniert … Du musst wählen, ob du von diesen Freunden geliebt werden möchtest und immer derselbe bleibst, oder ob du dich auf Kosten deiner Freunde verbessern willst … Wenn du beides versuchst, wirst du weder Fortschritte machen noch das behalten können, was du einmal hattest.   

Ein Mensch ist dann frei, wenn er uneingeschränkt in jeder Situation die Entscheidung selbst in der Hand hat. Aber jeder, der eingeschränkt, genötigt und zu etwas gezwungen werden kann, ist ein Sklave.

Wann immer du im Begriff bist, der Vorsehung die Schuld zu geben, betrachte es von der anderen Seite, und du wirst sehen, dass das, was geschehen ist, mit der Vernunft vereinbar ist.  

Du bist nicht dein Körper und deine Frisur, sondern die Fähigkeit, richtig zu entscheiden. Wenn deine Entscheidungen schön sind, wirst du es auch sein.

Es gibt zwei Regeln, die du stets beherzigen solltest: Es gibt nicht Gutes oder Schlechtes außerhalb meiner eigenen Entscheidungsgewalt, und wir sollten nicht versuchen, Ereignisse zu lenken, sondern ihnen folgen.    

Was heißt es denn, gut ausgebildet zu sein? Es bedeutet, dass wir lernen, unsere natürlichen Vorteile auf die richtigen Dinge anzuwenden, und darüber hinaus unterscheiden können, was in unserer Macht steht und was nicht.    

Iss wie ein Mensch, trinke wie ein Mensch, kleide dich, heirate, zeuge Kinder, werde politisch aktiv, erdulde Erniedrigungen, habe Nachsicht mit einem eigensinnigen Bruder, Vater, Sohn, Nachbarn oder Freund. Zeige uns all das, sodass wir erkennen, was du wirklich von den Philosophen gelernt hast.

… Freiheit sicherst du dir nicht, indem du dir Herzenswünsche erfüllst, sondern indem du auf deine Wünsche verzichtest.    

Solltest du jemals deinen Willen auf etwas richten, das nicht in deiner Macht steht, um jemand anderen zu beeindrucken, dann sei versichert, dass du damit den Sinn deines Lebens zunichtemachst. Sei also zufrieden damit, in allem, was du tust, ein Philosoph zu sein, und wenn du auch als ein solcher angesehen werden möchtest, dann beweise erst dir selbst, dass du einer bist, und du wirst erfolgreich sein.    

Lass dich nicht von der Kraft des ersten Eindrucks hinreißen. Sage dir: ›Warte mal, lass mich sehen, wer du bist und woher du kommst. Lass mich dich auf die Probe stellen‹ …  

Es gibt zwei Dinge, die man Menschen austreiben muss: Hochmut und Misstrauen. Hochmut lässt nichts anderes zu als die eigene Meinung, Misstrauen geht von der Annahme aus, dass es unter der Flut der äußeren Umstände kein Glück geben kann.  

Wenn es um Geld geht, das für uns von großem Belang ist, haben wir eine regelrechte Kunstform kreiert, bei der Geldtester mit verschiedenen Mitteln dessen Wert bestimmen … Ebenso beurteilen wir solche Dinge mit großer Sorgfalt, die uns in die Irre leiten könnten. Aber wenn es um unser eigenes Leitprinzip geht, dann werden wir müde und unkonzentriert, akzeptieren alles, das vor uns aufblitzt, ohne die Kosten zu bedenken.    

Mache es dir von Anbeginn zur Gewohnheit, dir bei jedem ersten groben Eindruck zu sagen: ›Das ist nur ein Eindruck und überhaupt nicht, was es zu sein scheint.‹ Als nächstes untersuche und prüfe ihn anhand der Regeln, die dir zur Verfügung stehen. Die erste und wichtigste dabei ist, ob der Eindruck Dinge betrifft, über die du die Kontrolle hast oder nicht, und falls letzteres zutrifft, sei bereit zu antworten: ›Es bedeutet mir nichts.‹  

Es sind nicht die Ereignisse, die Menschen beunruhigen, sondern deren Beurteilungen.  

Werfe deine eingebildeten Ansichten über Bord, denn es ist für einen Menschen unmöglich, etwas zu lernen, von dem er meint, dass er es schon weiß.

Was ist Pech? Eine Ansichtssache. Was sind Kampf, Streit, Schuld, Anklage, Respektlosigkeit und Leichtfertigkeit? Sie alle sind Ansichtssache und liegen zudem außerhalb unserer Entscheidungsgewalt, sie werden uns als gut oder böse präsentiert. Sorge dafür, dass jemand sich nur über das eine Meinung bildet, was er selbst frei entscheiden kann, und ich garantiere, dass diese Person inneren Frieden finden wird, egal, was um sie herum geschieht.

Wenn du deine Aufmerksamkeit für einen Moment verlierst, glaube nicht, dass du sie wieder in den Griff bekommst, wann immer du es willst. Denke lieber daran, dass der heutige Fehler zwangsläufig Schlechtes nach sich zieht … Ist es aber möglich, ganz ohne Fehler zu sein? Auf keinen Fall. Es ist jedoch möglich, sich stets darum zu bemühen, Fehler zu vermeiden. Denn wir müssen damit zufrieden sein, zumindest ein paar Fehler zu vermeiden, indem wir unsere Aufmerksamkeit nicht verlieren.  

Was wir als vernünftig oder unvernünftig betrachten, ist für jeden Menschen unterschiedlich, so wie gut oder böse und sinnvoll oder sinnlos für jeden etwas anderes bedeutet. Deswegen brauchen wir Bildung, damit wir lernen, unsere Vorurteile gegenüber dem, was uns vernünftig und unvernünftig erscheint, im Gleichklang mit der Natur zu korrigieren. Wenn wir einordnen können, müssen wir uns nicht mehr bloß auf unsere Einschätzung dessen, was äußere Umstände bedeuten, verlassen, sondern wir wenden Regeln an, die dem eigenen Charakter entsprechen.    

Zuerst sage dir, was für ein Mensch du sein willst, dann tue, was du dafür tun musst. Denn in fast jedem Bestreben verhält es sich so. Diejenigen, die nach etwas Sportlichem streben, wählen zuerst die Sportart. Dann geht es an die Arbeit.

Wer die reine Theorie nur schlucken soll, will sie gleich wieder ausspeien, so wie ein verstimmter Magen das Essen. Verdaue deine Theorien zuerst und du wirst dich nicht übergeben müssen. Sonst bleiben sie roh und sind nicht nahrhaft. Wenn du sie verdaut hast, zeige, wie dich deine durchdachten Entscheidungen verändert haben, so wie die Schultern von Turnern auf ihr Training schließen lassen, und die Arbeiten von Kunsthandwerkern auf das, was sie gelernt haben.  

Das Rohmaterial für die Arbeit eines guten und fähigen Menschen ist sein Leitprinzip, so wie der Körper für den Arzt und Sporttrainer und der Bauernhof für den Bauern.  

Was macht die Schönheit eines Menschen aus? Ist es nicht seine Vortrefflichkeit? Junger Freund, wenn du schön sein willst, dann arbeite fleißig an deinen Qualitäten. Und die wären? Beobachte diejenigen, die du ohne Vorurteil loben kannst. Die Gerechten oder die Ungerechten? Die Gerechten. Die Ausgeglichenen oder die Disziplinlosen? Die Ausgeglichenen. Die Selbstbeherrschten oder die Unbeherrschten? Die Selbstbeherrschten. Wenn du danach trachtest, so zu werden wie sie, wirst du schön, aber je mehr du ihre Qualitäten ignorierst, desto hässlicher wirst du, selbst wenn du alle Regeln der Kunst anwendest, um äußerlich schön zu erscheinen.   

Gott legte dieses Gesetz fest, das besagt: Wenn du etwas Gutes haben möchtest, hole es aus dir heraus.

Wo liegt das Gute? In unserer Entscheidungsgewalt. Wo liegt das Böse? In unserer Entscheidungsgewalt. Wo liegt das, was weder gut noch böse ist? In den Dingen außerhalb unserer Entscheidungsgewalt. 

Jede Gewohnheit und Fähigkeit wird durch entsprechende Handlungen gestärkt und genährt: Wandern durch Wandern, Laufen durch Laufen … Willst du daher etwas tun, mache eine Gewohnheit daraus. Wenn du etwas nicht tun möchtest, dann lass es. Mache dir etwas anderes zur Gewohnheit. Dasselbe Prinzip lässt sich auf unser Denkvermögen anwenden. Wenn du wütend wirst, hast du dieses Übel nicht nur erfahren, sondern auch eine schlechte Gewohnheit bestärkt und weiter Öl ins Feuer gegossen. 

Wenn du kein Hitzkopf sein willst, dann nähre diese Angewohnheit nicht. Versuche als ersten Schritt, ruhig zu bleiben, und zähle die Tage, an denen du nicht wütend warst. Ich war früher jeden Tag wütend, dann jeden zweiten, jeden dritten oder vierten … Wenn du es 30 Tage lang schaffst, danke Gott! Denn eine solche Angewohnheit wird zunächst erst schwächer und dann ausgemerzt. Wenn du dir sagen kannst ›Ich habe heute meine Beherrschung nicht verloren, oder am nächsten Tag, oder seit drei oder vier Monaten‹ wirst du wissen, dass du in besserer Verfassung bist.

Zeige mir jemanden, der krank und glücklich ist, in Gefahr und glücklich, auf dem Sterbebett und glücklich, im Exil und glücklich, in Ungnade gefallen und glücklich. Zeige ihn mir! Bei Gott, wie gerne würde ich einen Stoiker sehen. Aber da du mir niemanden zeigen kannst, der so perfekt ist, zeige mir zumindest jemanden, der sich aktiv mit diesem Ziel formt und ausbildet … Zeige ihn mir! 

Die Philosophen mahnen uns, sich nicht bloß mit lernen zufrieden zu geben, sondern zusätzlich zu üben und dann zu trainieren. Denn mit der Zeit vergessen wir, was wir gelernt haben, tun am Ende das genaue Gegenteil und vertreten Meinungen, die im Gegensatz stehen zu dem, wofür wir einstehen sollten.  

Aber was ist Philosophie? Bedeutet sie nicht, uns auf alles, was kommt, vorzubereiten? Verstehst du nicht, dass es eigentlich darauf hinausläuft, dass du dir sagst, ich bin vorbereitet, alles auszuhalten, was auch geschehen mag? Ansonsten wäre man wie ein Boxer, der aus dem Ring steigt, weil er ein paar Schläge abbekommen hat. Natürlich kannst du den Boxring ohne Konsequenzen verlassen, aber welchen Vorteil hätte es, das Streben nach Weisheit aufzugeben? Was sollte sich also jeder im Angesicht einer Prüfung sagen? Dafür habe ich trainiert, denn das ist meine Disziplin!

Ich kann einen Menschen nicht als schweren Arbeiter bezeichnen, nur weil ich höre, dass er liest und schreibt, selbst wenn er die ganze Nacht durcharbeitet. Bis ich weiß, wofür er arbeitet, kann ich ihn nicht als fleißig erachten … Das kann ich, wenn das Ziel, woran er arbeitet, sein eigenes Leitprinzip ist und dies sich in stetem Einklang mit der Natur befindet. 

Wir flehen Gott den Allmächtigen an – wie können wir diesen Schmerzen entkommen? Dummkopf, hast du keine Hände? Oder hat Gott etwa vergessen, dir welche zu geben? Setz dich hin und bete, dass dir die Nase nicht läuft. Oder, noch besser, putz dir die Nase und hör auf, nach einem Sündenbock zu suchen.   

Daher musst du verstehen, wie lächerlich es ist, zu bitten: ›Sag mir, was ich tun soll!‹ Welchen Rat könnte ich dir denn geben? Nein, viel besser wäre die Bitte: ›Trainiere meinen Verstand, damit er sich den Umständen anpasst.‹ Dann suchst du, falls die Umstände dich vom Kurs abbringen, nicht so verzweifelt nach einem neuen Weg.

Weißt du nicht, dass das Leben wie ein Feldzug ist? Der Eine muss Wache schieben, der Andere muss kundschaften, der Nächste muss an die Front … So ist es auch für uns: Das Leben jedes Menschen ist wie ein Kampf, ein sehr langer und abwechslungsreicher. Du musst wachsam bleiben wie ein Soldat, und alle Befehle ausführen … Du bist auf einem wichtigen Posten stationiert, deine Aufgabe ist elementar, und sie ist nicht kurzfristig, sondern lebenslang.

Jedes Ereignis hat zwei Zugänge – der eine hilft, damit umzugehen, der andere nicht. Wenn dein Bruder dir schadet, dann versteife dich nicht auf den Schaden, denn damit kommst du nicht weiter. Versuche den anderen Zugang: dass er dein Bruder ist, dass ihr zusammen aufgewachsen seid, und dann hast du einen Ansatz gefunden, mit dem du weiterkommst.   

Wenn du einmal besiegt worden bist und dir sagst, dass du es überwinden wirst, aber genauso weitermachst wie zuvor, so wisse, dass du schließlich so krank und schwach sein wirst, dass dir dein Fehler noch nicht einmal mehr auffallen wird, sondern du dein Verhalten rational finden wirst. 

Der schöne und gute Mensch streitet mit niemandem. Er erlaubt es auch, soweit möglich, niemand anderem, zu streiten … das ist es, was es bedeutet, gebildet zu sein: dass man lernt, was einen etwas angeht und was nicht. Wenn ein Mensch sich so verhält, gibt es keinen Raum mehr für Streit.   

Welche Hilfe können wir erwarten im Kampf gegen die Gewohnheit? Versuche das Gegenteil!  

Die Aufgabe eines Philosophen: Wir sollten unseren Willen in Einklang bringen mit allem, was geschieht, sodass nichts gegen unseren Willen geschehen kann, und nichts, was wir wollen, nicht auch geschieht.    

Schütze das Gute in dir bei allem, was du tust, und was alles andere betrifft, nimm es so wie es ist, so wie es dir deine Vernunft gebietet. Andernfalls wirst du unglücklich und anfällig für Fehler sein, schwach und handlungsunfähig.    

Aber was sagt Sokrates? ›Ich widme mich mit Freude der Aufgabe, mich von Tag zu Tag zu verbessern, so wie die einen daran Freude haben, ihren Hof zu verbessern, und die anderen an ihrem Pferd arbeiten.‹

Jede große Macht ist für den Anfänger gefährlich. Du musst sie deshalb gemäß deiner Fähigkeiten ausüben, aber im Einklang mit der Natur.    

Wenn dir jemand schreckliche Nachrichten übermittelt, bedenke, dass keine Nachricht für deine Entscheidungsgewalt je von Bedeutung sein kann. Kann dir jemand die Nachricht überbringen, dass deine Annahmen und Wünsche falsch sind? Niemals! Aber man kann dir erzählen, dass jemand gestorben ist – selbst dann: Was hat das mit dir zu tun?

Du musst aufhören, die Schuld auf Gott oder irgendjemanden zu schieben. Du musst deine Begierden vollständig beherrschen und das vermeiden lernen, was im Bereich deiner Entscheidungsgewalt liegt. Setze dem Zorn, der Missgunst, dem Neid und der Reue ein Ende.  

Wir sollten unsere Vorhaben nicht aufgeben, bloß weil wir befürchten, sie nie zur Vollendung bringen zu können.   

Denn nichts, was sich außerhalb meiner Entscheidungsgewalt befindet, kann sie stören oder verletzen – das kann meine Entscheidungsgewalt nur sich selbst antun. Wenn wir uns jedes Mal, wenn wir einen Fehler begehen, daran orientierten, dass wir nur in uns selbst die Schuld zu suchen haben und wir uns daran erinnern, dass nichts anderes als unsere Meinung die Quelle aller Sorgen und Verunsicherungen ist, dann, so schwöre ich bei Gott, würden wir uns (endlich) weiterentwickeln.     

Ein guter Mensch ist unbesiegbar, denn er stürzt sich nicht in einen Wettbewerb, bei dem er nicht der Stärkere ist. Willst du ihren Besitz? Dann nimm ihn – nimm ihr Personal, ihren Beruf, ihren Körper. Doch du wirst sie nie von ihrem Ziel abbringen und sie nie in eine Falle locken können, wenn sie diese vermeiden wollen. Denn der gute Mensch begibt sich nur in den Wettbewerb mit seinem eigenen freien Willen. Wie kann so jemand nicht unbesiegbar sein?   

Männer, der Vorlesesaal eines Philosophen ist ein Krankenhaus – wenn du hinausgehst, solltest du keine Freude verspüren, sondern Schmerz, denn es geht dir nicht gut, wenn du hineingehst.    

Wir müssen uns einem harten Training für den Winter unterziehen und uns nicht in Dinge stürzen, auf die wir nicht vorbereitet sind.    

Denke daran: Wenn du das, was von Natur aus sklavisch ist, für frei hältst, und das, was nicht deins ist, für deines hältst, wirst du gefesselt und unglücklich sein, du wirst sowohl die Götter beschuldigen als auch andere Menschen. Aber wenn du nur das für deines hältst, was tatsächlich dir gehört, und das, was anderen gehört, als wahrhaftig nicht deines, dann wird niemand dich mehr zwingen oder aufhalten können, du wirst niemanden mehr beschuldigen können, du wirst nichts mehr gegen deinen Willen tun, du wirst keine Feinde haben, niemand wird dir schaden, denn kein Schaden kann dir etwas anhaben.    

Bedenke, wer du bist. Vor allem: ein Mensch, und du trägst keine größere Macht in dir als deine Entscheidungsgewalt, die alle anderen Dinge beherrscht und keinem anderen Meister unterworfen ist.   

Nein, es sind Ereignisse, die einem Grund zur Angst geben – wenn jemand anderes Macht über die Ereignisse hat oder sie verhindern kann, dann ist diese Person fähig, Angst auszulösen. Wie wird die Festung zerstört? Nicht durch Schwerter oder Feuer, sondern durch Urteile … Das ist es, wo wir anfangen müssen, und von dieser Position aus können wir die Festung einnehmen und den Tyrannen stürzen.     

Übe zunächst, andere nicht wissen zu lassen, wer du bist – behalte deine Philosophie noch ein bisschen für dich. Es ist so, wie mit Feldfrüchten: Der Samen wird erst eine Saison im Dunklen aufbewahrt und kann dann langsam wachsen, bis die Frucht zu voller Reife gelangt ist. Doch wenn die Ähre wächst, bevor der Halm voll entwickelt ist, wird die Frucht nie reifen … Eine solche Frucht bist du: Wenn du deine Frucht zu früh zeigst, wirst du den Winter nicht überstehen.     

Schwierigkeiten entblößen den Charakter eines Menschen. Wenn du also vor einer Herausforderung stehst, denke daran, dass Gott dir gerade einen jüngeren Sparringpartner zuteilt, wie ein Sporttrainer das auch tut. Warum? Wer ein Olympionike werden will, muss sich anstrengen! Ich finde, niemand hat eine bessere Herausforderung als du, wenn du sie nur nutzen würdest, so wie ein Athlet sich den jüngeren Sparringpartner zunutze macht.  

Wie passend, dass die Götter nur die mächtigste aller Fähigkeiten in unsere Kontrolle gegeben haben, jene, die alle anderen reguliert: Die Fähigkeit, äußere Erscheinungen richtig zu nutzen. Und wie gut, dass sie uns sonst nichts gaben. Wollten sie uns einfach nicht noch mehr geben? Ich denke, wenn es möglich gewesen wäre, hätten sie uns mehr gegeben, aber es war nicht möglich.   

Sobald die Maßstäbe festgelegt worden sind, werden die Dinge erprobt und abgewogen. Die Arbeit der Philosophie besteht ebenso darin, Maßstäbe zu überprüfen und aufrechtzuerhalten, aber die Arbeit eines wahrhaft guten Menschen besteht darin, diese Maßstäbe anzuwenden, wenn er sie kennt.   

Da Gewohnheiten einen mächtigen Einfluss haben und wir unseren Impulsen folgen, um etwas zu erreichen oder zu vermeiden, was außerhalb unserer Entscheidungsgewalt liegt, sollten wir immer dann, wenn die äußeren Eindrücke schwer zu fassen sind, auf die Macht unserer angelernten Verhaltensmuster zurückgreifen.  

Was also befreit einen Menschen von Hemmnissen und lässt ihn sich selbst bestimmen? Weder Reichtum noch höchste Ämter, der Staat oder das Königreich – vielmehr muss man etwas anderes finden … Was das Leben betrifft, ist es das Wissen darum, wie man leben sollte.     

Erwarte nicht, dass alles so kommt, wie du es dir wünschst, sondern wünsche, dass alles so kommt, wie es dann tatsächlich passiert – dann wird dein Leben mühelos verlaufen.    

Doch ich bin zu keiner Zeit in meinem freien Willen eingeschränkt gewesen, noch gezwungen worden. Wie ist das möglich? Ich habe meine Entscheidung daran gebunden, nach dem Willen Gottes zu handeln. Wenn Gott will, dass ich krank bin, ist dies mein Wille. Wenn er will, dass ich mich für etwas entscheide, so tue ich es. Wenn er will, dass ich etwas erreiche oder mir etwas gegeben wird – dann wünsche ich das auch. Was Gott nicht will, das wünsche auch ich nicht.    

Vertraue nicht auf deinen Ruf, auf dein Geld oder deine Stellung, sondern in deine innere Stärke: deine Einschätzung dessen, was unter deiner Kontrolle steht und was nicht. Denn das allein macht uns unabhängig und frei, es zieht uns beim Schopf aus den Tiefen empor bis auf Augenhöhe mit den Reichen und Mächtigen.

Denke daran: Du bist ein Schauspieler in einem Stück und spielst eine Rolle nach dem Willen des Dramatikers – sei es in einem kurzen Stück oder in einem langen. Wenn du einen Bettler spielen sollst, fülle die Rolle ebenso gut aus wie die eines Krüppels, eines Herrschers oder die eines ganz gewöhnlichen Menschen. Denn es ist deine Pflicht, den dir zugewiesenen Charakter so gut wie möglich zu spielen. Die Auswahl bleibt anderen vorbehalten.    

Er wurde ins Gefängnis gesteckt. Doch die Beobachtung, ›er hat Böses erlitten‹, ist eine Ergänzung, die von dir stammt.

Wenn du Verlustschmerzen empfindest, behandele sie nicht, als seien sie ein Teil von dir, sondern wie ein zerbrechliches Glas. Denn wenn dies hinfällt, wirst du dich daran erinnern und nicht darunter leiden. Ebenso solltest du, wenn du dein Kind, deine Schwester, deinen Bruder oder deinen Freund umarmst, den Moment nicht mit allem Möglichen überfrachten, was du dir wünschst, sondern halte es zurück und versage es dir, so wie diejenigen, die hinter einem siegreichen Heeresführer reiten, ihn daran erinnern, dass er sterblich ist. In gleicher Weise denke daran, dass deine Liebsten nicht dein Besitz sind, sondern nur für diesen Moment gegeben sind und nicht für immer …

Die Philosophie hat nicht den Anspruch, einem Menschen zu mehr materiellem Besitz zu verhelfen. Das betrifft nicht ihren Bereich. So wie der Zimmermann mit Holz arbeitet und der Bildhauer mit Bronze, so ist unser eigenes Leben das Material für den, der sich mit der Kunst des Lebens befasst.  

Alles, was verwehrt, weggenommen oder aufgezwungen werden kann, gehört einem Menschen nicht – aber die Dinge, die nicht blockiert werden können, die sind sein Eigentum.  

Halte dir jeden Tag den Tod und das Exil vor Augen, sowie weitere Dinge, die dir furchtbar erscheinen – wenn du das tust, wirst du niemals liederliche Gedanken in dir tragen und auch kein übermäßiges Verlangen entwickeln.

Ich sage dir, du musst nur lernen, so zu leben wie ein gesunder Mensch … In großer Zuversicht. Welche Zuversicht? Die einzige, an die zu halten es sich lohnt: Zuversicht bedingt durch das, worauf du dich verlassen kannst, ohne Einschränkungen, und das dir keiner nehmen kann: deine eigene Entscheidungsgewalt. 

Hast du darüber nachgedacht, dass das größte aller menschlichen Übel, das eindeutigste Zeichen des Niederen und Feigen, nicht der Tod selbst ist, sondern die Angst davor? Ich ermahne dich, dich selbst gegen solche Angst zu stählen und deine Gedanken, deine Übungen und dein Studium darauf zu verwenden – dann wirst du den einzigen Weg zu menschlicher Freiheit kennen.