Ein Mensch, der nicht weiß, was das Universum ist, weiß nicht, wo er ist. Ein Mensch, der den Zweck seines Lebens nicht kennt, weiß nicht, wer er ist, und auch nicht, was das Universum ist. Ein Mensch, der keins von beiden weiß, weiß auch nicht, warum er existiert. Was soll man also mit Menschen machen, die die Anerkennung von jenen Menschen suchen oder meiden, die nicht wissen, wo und wer sie sind?
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Du musst begreifen, dass es etwas Kraftvolleres und Göttlicheres in dir gibt als das, was die körperlichen Leidenschaften erregt und dich wie eine Marionette bewegt. Welche Gedanken beherrschen deinen Geist? Doch nicht etwa Angst, Misstrauen, Begierde oder etwas dieser Art?
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Durchlaufe diese kurze Zeitspanne in Einklang mit der Natur, und erreiche deine letzte Ruhestätte in Würde, so wie die reife Olive, die vom Baum fällt und die Erde preist, die sie ernährt hat, und dem Baum dankbar ist, der sie wachsen ließ.
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Deine Prinzipien können nicht getilgt werden, es sei denn, du löschst alle Gedanken aus, von denen sie zehren. Es liegt immer in deiner Macht, neue zu entflammen … Es ist möglich, ein neues Leben zu beginnen! Betrachte die Dinge so, wie du sie einst betrachtet hast – so beginnt man das Leben neu!
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Von Rusticus … lernte ich, sorgfältig zu lesen und mich nicht damit zufriedenzugeben, etwas nur oberflächlich zu verstehen, und den Schwätzern nicht vorschnell zuzustimmen.
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Was ist noch lohnenswert? Ich glaube, dies: Unser Handeln und Nicht-Handeln einzig auf das zu reduzieren, was wir für unsere eigene Vorbereitung benötigen … Darauf laufen alle Anstrengungen in der Erziehung und im Unterricht hinaus – das ist wirklich lohnenswert! Wenn du daran festhältst, wirst du aufhören, nach all den anderen Dingen zu streben … Anderenfalls wirst du nicht frei, unabhängig und bar jeder Leidenschaft sein, sondern zwangsläufig neidisch, eifersüchtig und misstrauisch gegenüber jenen, die in der Lage sind, dir diese Dinge wegzunehmen, und du wirst dich gegen jene verschwören, die das besitzen, was du als erstrebenswert empfindest … Aber Selbstachtung und die eigene Wertschätzung werden dazu führen, dass du mit dir zufrieden bist, mit deinen Mitmenschen besser auskommst und mit den Göttern stärker im Einklang bist – und alles preisen wirst, was sie für dich vorgesehen und dir auferlegt haben.
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Lösche die falschen Vorstellungen aus deinem Geist, indem du dir stets selbst versicherst: Ich habe die Seelenkraft, alles Böse, alle Begierden und jegliche Beunruhigung von mir fernzuhalten – stattdessen erkenne ich die wahre Natur der Dinge und ich gestehe ihnen nur das zu, was sie verdienen. Denke immer an diese Kraft, die die Natur dir gegeben hat.
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Schaue dir genau die Leitprinzipien kluger Menschen an, was sie vermeiden und wonach sie streben.
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Sei stets standhaft bei allen Aufgaben, als Römer wie als Mensch. Handele schlicht und einfach in Würde, Freundlichkeit, Freiheit und Gerechtigkeit und halte alle anderen Gedanken von dir fern. Dies wird dir gelingen, wenn du jede Aufgabe so angehst, als sei sie deine letzte, wenn du dich jeder Ablenkung verschließt, jeder emotionalen Einflussnahme deines Verstandes, jeden Dramas, jeder Eitelkeit, jeder Beschwerde über deinen gerechten Anteil. Du wirst sehen, wie es dir möglich wird, ein ergiebiges und frommes Leben zu führen, wenn du nur einige wenige Dinge beherrschst – denn wenn du diese Dinge im Blick behältst, werden die Götter nichts mehr von dir fordern.
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Kehre nicht zur Philosophie zurück wie zu einem Schulmeister, sondern wie ein Patient, der für wunde Augen nach Linderung sucht, oder nach Umschlägen und Balsam bei einer Verbrennung. Wenn du es so betrachtest, gehorchst du der Vernunft, ohne sie zur Schau zu stellen, und weißt dich bei ihr in guten Händen.
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Halte diesen Gedanken bereit, wenn du spürst, dass du kurz vor einem Wutanfall bist – es ist nicht männlich, seiner Wut freien Lauf zu lassen. Stattdessen sind Sanftheit und zivilisiertes Verhalten viel menschlicher und deswegen auch männlicher. Ein wahrer Mann gibt dem Ärger und der Unzufriedenheit nicht nach, sondern er beweist Stärke, Mut und Ausdauer – ganz anders als diejenigen, die immer wütend sind und sich beschweren. Je mehr sich ein Mann einem ruhigen Geisteszustand annähern kann, desto eher kommt er auch wahrer Stärke nahe.
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Richte deine Gedanken folgendermaßen aus: Du bist eine alte Person, du wirst dich nicht länger wie eine Marionette von jedem Gefühl leiten lassen, und du wirst aufhören, dich über dein gegenwärtiges Schicksal zu beschweren oder die Zukunft zu fürchten.
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Lasse dich nicht wie einen Spielball behandeln, sondern unterwerfe jedes impulsive Verhalten den Ansprüchen der Gerechtigkeit und verteidige deine klare Überzeugung immer und überall.
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Wir haben die Macht, uns keine Meinung über Dinge bilden zu müssen und uns dadurch aus unserer Gemütsruhe bringen zu lassen – denn Dinge haben per se nicht die Macht, unser Urteilsvermögen zu beeinflussen.
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Kläre deinen Geist und bringe dich selbst unter Kontrolle, als wärest du aus einem Traum aufgewacht und merkst, dass es nur ein böser Traum war, der dich erschüttert hat. Dann stelle fest, dass das, was du siehst, auch bloß Teil ist dieses Traums.
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Wenn jemand dich fragt, wie man deinen Namen schreibt, schreist du ihm dann jeden Buchstaben entgegen? Und wenn er wütend wird, erwiderst du den Ärger? Würdest du nicht lieber ganz sanft und freundlich deinen Namen buchstabieren? Denke also daran: Deine Pflichten im Leben sind die Summe einzelner Aktionen. Schenke den Aufgaben ebenso viel Aufmerksamkeit wie den Pflichten, erfülle sie ganz methodisch.
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Räuber, Perverse, Mörder und Tyrannen – eure sogenannten Freuden sollen helfen, euch zu prüfen!
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Gib den äußeren Umständen nicht die Macht, deinen Ärger zu provozieren, denn ihnen ist es völlig egal.
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Halte in Gedanken eine Liste bereit von all denen, die sich vor Wut und Verbitterung verzehren, und seien sie noch so berühmt für ihren Erfolg, ihr Unglück, ihre üblen Taten oder sonstige besondere Auszeichnungen. Dann frage dich: Wie konnte das geschehen? Das sind Schall und Rauch, das Zeug eines simplen Mythos, der eine Legende sein möchte …
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Wenn dir jemand etwas antut, überlege sofort, ob er dabei Gutes oder Schlechtes im Sinn hat. Wenn du das erkannt hast, wirst du Mitleid haben, anstatt dich zu wundern oder wütend zu sein. Vielleicht hast du dieselbe oder eine ähnliche Auffassung von Gut und Böse, sodass du ihm seine Tat verzeihen kannst. Wenn du aber nicht derselben Auffassung bist, wirst du eher bereit sein, gegenüber seinem Fehler nachsichtig zu sein.
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Selbst wenn du 3000 Jahre und noch unendlich viel länger leben würdest, denke daran: Niemand kann ein anderes Leben verlieren als das, das er gerade führt. Das längste Leben ist also genauso begrenzt wie das kürzeste, denn die Gegenwart ist für alle gleich und sie ist alles, was wir besitzen. Niemand kann die Vergangenheit oder die Zukunft verlieren, denn wie sollte man einem etwas nehmen, das er nicht besitzt.
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Halte deine Fähigkeit, zu verstehen, in Ehren. Denn sie umschließt alles, und unser Leitprinzip wird es nicht zulassen, dass etwas eindringt, das weder der Natur noch einem logisch denkenden Wesen zuträglich ist. Diese Fähigkeit verlangt angemessenen Fleiß, Fürsorge und Gottgefälligkeit.
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Heute bin ich allen bedrückenden Umständen ausgewichen, besser gesagt, ich habe mich von ihnen befreit, denn der Druck kam nicht von außen, sondern von mir und meinen Annahmen.
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Um sich zurückzuziehen, suchen die Menschen nach Orten, auf dem Land, am Meer oder in den Bergen. Wahrscheinlich sehnst auch du dich nach solchen Orten. Dabei ist das vollkommen einfältig, denn du kannst dich jederzeit in dich selbst zurückziehen. Es gibt keinen friedlicheren und sorgenloseren Ort als deine eigene Seele, besonders da sie bei näherer Betrachtung ein Ort der inneren Ruhe ist, also nicht weniger als eine innere Ordnung. Diesen Rückzug solltest du möglichst oft anstreben und dich erholen.
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Wie organisiert sich dein Leitprinzip? Darin liegt der Schlüssel zu allem. Was auch immer darüber hinausgeht, sei es im Bereich deiner Entscheidungsgewalt oder nicht, ist nichts als Rauch und ein Leichnam.
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Greife stets auf dein eigenes Leitprinzip zurück, auf das des Universums und deines Nachbarn. Dein eigenes wird dir helfen, gerecht zu werden, das des Universums wird dir helfen zu erkennen, wohin du gehörst, und das deines Nachbarn zeigt dir, ob er töricht oder klug ist – und du wirst erkennen, dass sein Leitprinzip deinem gleicht.
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Unmöglichem hinterherzujagen ist Wahnsinn. Aber der einfältige Mensch ist nicht imstande, etwas anderes zu tun.
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Drama, Krieg, Terror, Gefühllosigkeit und Unterwürfigkeit ruinieren täglich deine heiligen Prinzipien, wenn du sie nicht mit deinem Verstand hinterfragst, sondern dich einfach auf all das einlässt.
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Achte darauf, dass man dich nicht zum ›Kaiser‹ macht, vermeide den imperialen Makel. Das kann auch dir passieren. Bleibe ein einfacher, guter, ehrlicher, frommer und schlichter Mensch, ein Freund von Gerechtigkeit, gottesfürchtig, gütig, liebevoll und ernsthaft in der dir angemessenen Arbeit. Kämpfe darum, der Mensch zu bleiben, den die Philosophie in dir vorsieht. Fürchte die Götter und kümmere dich um deine Mitmenschen. Das Leben ist kurz, und die Früchte des Lebens sind ein guter Charakter und deine Taten für das Gemeinwohl.
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Als erstes solltest du dir am frühen Morgen sagen: Ich werde auf Wichtigtuer, Undankbare, Egomanen, Lügner, Eifersüchtige und Spinner treffen. Sie sind diesen Leiden unterworfen, weil sie gut nicht von böse unterscheiden können. Ich habe jedoch die Schönheit des Guten und die Hässlichkeit des Bösen erkannt. Ich weiß, dass die Menschen, die falsch handeln, mir dennoch verwandt sind – und niemand von ihnen mir schaden oder mich in das Hässliche verstricken kann, noch bin ich auf meine Verwandten wütend oder hasse sie. Denn wir sind für die gemeinschaftliche Zusammenarbeit geschaffen.
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Du sollst nicht widerwillig und selbstsüchtig handeln, nicht ohne gründliche Gewissenhaftigkeit oder als Querdenker. Überfrachte deine Gedanken nicht mit spitzfindigen Formulierungen. Sei nicht ein Mann der vielen Worte und Taten … Sei heiter und gelassen, ohne auf Hilfe oder Unterstützung von außen angewiesen zu sein. Sei jemand, der aufrecht stehen kann, ohne aufgerichtet werden zu müssen.
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Achte bei Gesprächen ganz genau darauf, was gesagt wird und was die Folge jeglichen Handelns ist. Bei jeder Handlung schau sofort, was sie beabsichtigt, bei den Worten höre genau hin, welche Bedeutung sie haben.
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Denke nicht mehr: ›Mir wurde ein Schaden zugefügt‹ – dann wird der Schaden sofort gebannt sein. Hör auf, dir Schaden zufügen zu lassen, und der Schaden wird verschwinden.
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Epiktet sagt, dass wir die verlorene Kunst der Zustimmung wiederfinden müssen und besonders auf unsere Impulse achten sollen – er sagt, sie haben dem Verzicht, dem Gemeinwohl zu unterliegen, und sie sollten im rechten Verhältnis zum wahren Wert stehen.
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Hier eine Methode, wie man über das denken kann, was von den ›Massen‹ als gut erachtet wird. Konzentriere dich zunächst auf die Dinge, die zweifellos gut sind: Weisheit, Selbstbeherrschung, Gerechtigkeit, Tapferkeit. Mit dieser Einstellung wird es dir nicht mehr möglich sein, dem Volksmund einfach zu folgen, wenn behauptet wird, es gäbe zu viele gute Dinge, als dass man sie in nur einem Leben auskosten könne.
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Dies sind die Wesensmerkmale einer vernunftgesteuerten Seele: Selbstwahrnehmung, Selbstprüfung und selbstbestimmtes Handeln. Sie werden reiche Früchte tragen … Und alle selbst gesteckten Ziele übertreffen.
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Du bestehst aus drei Teilen: Körper, Atem und Verstand. Die ersten beiden gehören dir nur insofern, als dass du für sie verantwortlich bist. Nur der dritte gehört dir wirklich allein.
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Wenn mir jemand beweist, dass ich falsch denke und handele, werde ich mich glücklich schätzen, meine Meinung zu ändern, denn ich suche die Wahrheit, und die hat noch nie jemandem geschadet. Nur der nimmt Schaden, der in Täuschung und Unkenntnis verharrt.
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Wenn dich dein Sparringspartner schubst oder dir einen Kopfstoß versetzt, mache kein Drama daraus und protestiere nicht, sei nicht misstrauisch oder unterstelle ihm feindliche Gesinnung. Doch behalte ihn im Auge, sei nicht feindselig, sondern bleibe auf gesunder Distanz. So solltest du in allen Lebenslagen handeln. Wir sollten unseren Trainingspartnern vieles durchgehen lassen. Wie ich schon sagte, es ist möglich, ohne Misstrauen und Feindseligkeit Dinge zu umgehen.
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Kehr das Innere nach außen und sieh es dir genau an: wie es wird, wenn es alt ist, krank, oder sich prostituieren muss. Wie kurzlebig sind der Lobende und das Gelobte, derjenige, der erinnert, und der, an den er sich erinnert. Er wird erinnert, aber nur in manchem Winkel dieser Gegend, und er wird auch nicht von jedem gleichermaßen erinnert, noch nicht einmal von dieser Person. Und die ganze Erde ist doch nur ein Staubkorn.
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Beobachte die Sterne in ihren Bahnen und stell dir vor, du läufst mit ihnen. Denke immer daran, wie sich die Elemente miteinander verwandeln, denn solche Gedanken reinigen dich vom Staub des irdischen Lebens.
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Güte ist unbesiegbar, aber nur wenn sie aufrichtig, nicht geheuchelt oder vorgetäuscht ist. Was kann schon der gemeinste Mensch ausrichten, wenn du ihm mit Güte begegnest und ihn, wenn es dir möglich ist, sanft belehrst – genau in dem Moment, in dem er versucht, dir Schaden zuzufügen?
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Beschäftige dich nicht mit Dingen, die du nicht besitzt, als gehörten sie dir, sondern sei dankbar für das, was du wirklich besitzt, und stell dir vor, wie sehr du dir diese Dinge wünschen würdest, würden sie dir nicht bereits gehören. Aber achte darauf, dass du diese Dinge nicht so sehr wertschätzt, dass es dir Kummer bereiten würde, solltest du sie verlieren.
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Richte deine Aufmerksamkeit auf das, was vor dir liegt, auf das Prinzip, auf die Aufgabe und auf das, was geschildert wird.
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Du bekommst, was du verdienst. Statt heute ein guter Mensch zu sein, hast du dich entschieden, morgen einer zu werden.
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Du sagst, ein günstiges Schicksal sei dir an jeder Ecke begegnet. Aber ein vom Schicksal begünstigter Mensch ist jemand, der sein günstiges Schicksal selbst bestimmt. Ein günstiges Schicksal besteht aus einer ausgeglichenen Seele, den richtigen Impulsen und guten Taten.
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Die Freude eines Menschen besteht darin, einer angemessenen Arbeit nachzugehen. Und angemessene Arbeit bedeutet, dass man anderen gegenüber gütig ist, dass man den sinnlichen Begierden keine Beachtung schenkt, dass man die Eindrücke erkennt, die vertrauenswürdig sind, die natürliche Ordnung der Dinge achtet und alles, was mit ihr im Einklang steht.
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Ich bin immer wieder überrascht, wie sehr wir uns selbst lieben, aber viel mehr Wert auf die Meinungen anderer statt auf unsere eigenen legen … Wie viel mehr Glauben schenken wir den Meinungen, die andere über uns haben, und wie wenig unseren eigenen!
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Erstens: Lasse dich nicht aus der Ruhe bringen. Alles geschieht gemäß dem natürlichen Lauf der Dinge und in kurzer Zeit bist du nichts und nichtig, wie es selbst große Imperatoren wie Hadrian und Augustus nun sind. Zweitens: Überlege dir genau, was die vor dir liegende Aufgabe ist, und denke daran, dein Ziel ist, ein guter Mensch zu sein. Handle gleich so, wie es die Natur erfordert, und sprich so, wie es dir gerecht und gebührend erscheint, mit Güte, Bescheidenheit und Aufrichtigkeit.
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Was ist deine Berufung? Ein guter Mensch zu sein.
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Tatsächlich kann niemand deine geistigen Ziele zerstören – denn sie sind gefeit vor Feuer, Schwertern, Tyrannei, Verleumdung und allem anderen.
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Wie wunderbar hat Plato das ausgedrückt: Wann immer du über andere Menschen sprechen willst, nimm die Perspektive eines Vogels ein und sieh dir alles von oben an – Versammlungen, Armeen, Bauernhöfe, Hochzeiten und Scheidungen, Geburten und Todesfälle, laute Gerichtshöfe und Orte der Stille, fremde Völker, Denkmäler, Märkte – alles zusammen und jeweils in Gegensatzpaaren angeordnet.
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Du musst dein Leben so aufbauen, dass eine Handlung der nächsten folgt, und zufrieden sein, wenn jede einzelne dem Ziel soweit wie möglich nahekommt – davon kann dich niemand abhalten. Doch es wird äußere Hindernisse geben! Das mag sein, aber es gibt kein Hindernis, das dich davon abhält, gerecht, beherrscht und weise zu handeln. Und was, wenn ein anderer Bereich meines Handelns gestört wird? Erkenne das Hindernis als das an, was es ist, und lenke deine Aufmerksamkeit auf die Gegebenheiten – dann wird sich sogleich eine andere Möglichkeit auftun, eine, die dem Leben, das du dir aufbaust, angemessener ist.
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Wenn du feststellst, dass etwas für dich sehr schwierig zu schaffen ist, halte es nicht für unmöglich – denn alles, was einer anderen Person möglich und angemessen ist, kannst du ebenso gut erreichen.
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Wie viel schädlicher sind die Folgen von Wut und Trauer als die Umstände, die sie in uns hervorriefen!
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Schäme dich nicht, wenn du Hilfe brauchst. Du hast eine Aufgabe, die du erfüllen musst, ebenso wie ein Soldat, der im Kampf eine Mauer angreift. Was ist schlimm daran, wenn du verletzt bist und Hilfe brauchst, um die Festung zu erstürmen?
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Lass dich nicht von einem Blick auf die ganze Bandbreite des Lebens erschrecken. Fülle deinen Kopf nicht mit Gedanken an all die schlimmen Dinge, die noch passieren könnten. Konzentriere dich auf die Gegenwart und frage dich, warum du sie so unerträglich findest und wie du sie überleben kannst.
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Wenn es denn also wirklich so ist, dass die Dinge, denen du nachjagst oder die du vermeidest, auf dich zukommen, sodass du sie in gewisser Weise suchst, dann versuche zumindest, in deinem Urteil über diese Dinge konstant zu bleiben, dann werden auch sie ruhig bleiben und du musst ihnen nicht hinterherjagen oder vor ihnen flüchten.
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Jetzt, in diesem Moment, könntest du all die Dinge genießen, die zu erreichen du dir so sehr wünschst, dass du den langen Umweg nimmst – hör einfach auf, sie dir selbst vorzuenthalten.
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Es ist möglich, deine Arroganz zu zügeln, Freud und Leid zu überwinden, deinen Ehrgeiz hinter dir zu lassen und dich nicht über dumme und undankbare Menschen zu ärgern – ja, sie sogar zu lieben.
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Es mag stimmen, dass jemand unsere Handlungen stören kann, aber er kann nicht unsere Intentionen und unsere Geisteshaltung stören, und wir haben die Macht, uns den Bedingungen entsprechend anzupassen. Denn der Verstand kann sich anpassen und all das, was unser Handeln behindert, so verändern, dass es uns dient, unser Handeln auszuführen. Was ein Hindernis für unser Handeln war, wird folglich unser Handeln beschleunigen. Das Hindernis, das uns im Weg liegt, wird der Weg.
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Was immer auch jemand tut oder sagt, ich für meinen Teil fühle mich verpflichtet, gut zu sein. Ganz so, als ob ein Smaragd, das Gold oder der Purpur feststellen würden: ›Was auch immer jemand tut oder sagt, ich bin, was ich bin, und stehe zu meiner Farbe.‹
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Ob du frierst oder schwitzt, müde oder ausgeruht bist, geschmäht oder bevorzugt wirst, erledige angemessen deine Pflicht, selbst wenn du im Sterben liegst oder unter anderen Zwängen stehst. Selbst der Tod gehört zu den wichtigen Aufgaben im Leben, also bemühe dich, dass du hier wie in allen anderen Bereichen alles nutzt, was dir zur Verfügung steht, um deine Pflicht gut zu erfüllen.
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Wenn du morgens mit dir kämpfst aufzustehen, mache dich mit diesem Gedanken vertraut: Ich bin um meiner Arbeit willen aufgewacht. Warum sollte ich dann verdrossen sein, das zu tun, wofür ich bestimmt bin, also genau die Dinge zu tun, für die ich auf dieser Welt bin? Oder bin ich dafür geschaffen, mich unter die Decke zu kuscheln und weiter zu träumen? Es mag angenehm sein. Aber bist du nur zum Vergnügen da? Um dich zu verhätscheln oder um dich anzustrengen?
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Genug von diesem jämmerlichen Elend. Verschwende nicht deine Zeit! Warum regst du dich so auf? Was gibt es denn Neues? Was verwirrt dich so? Wer ist dafür verantwortlich? Schau einmal genau hin. Oder liegt es an der Sache selbst? Dann schau dir die Sache genau an. Sonst gibt es nichts, was in Betracht kommt. Und was die Götter betrifft – du könntest versuchen, aufrichtiger und freundlicher zu sein. Es spielt keine Rolle, ob du dir über etwas einhundert Jahre oder nur drei Jahre Gedanken machst.
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Liebe die schlichte Kunst, die du erlernt hast, und finde Ruhe in ihr. Verbringe den Rest deiner Tage als Mensch, der alle seine Besitztümer von ganzem Herzen den Göttern anvertraut. Mache dich keinem Menschen gegenüber zum Tyrannen oder Sklaven.
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Schiebe deine Handlungen nicht auf. Sprich so, dass du niemanden verwirrst. Lass deine Gedanken nicht abschweifen. Lass deine Seele nicht passiv oder aggressiv werden. Erlaube nicht, dass sich alles in deinem Leben nur um das Geschäftliche dreht.
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Der eine rechnet bereits bei einer einzigen guten Tat damit, dass man sich unverzüglich revanchiert. Ein anderer ist nicht so schnell, weiß aber, dass man in seiner Schuld steht und ist sich seiner guten Tat bewusst. Der dritte ist sich seiner guten Tat noch nicht einmal bewusst, ganz so, wie der Weinstock, der Trauben hervorbringt und nicht anders kann, wie ein Pferd nach dem Rennen, ein Hund nach dem Spaziergang und eine Biene, die Honig produziert. Ein solcher Mensch verkündet seine guten Taten nicht von den Dächern, sondern geht einfach über zur nächsten guten Tat, so wie der Rebstock in der nächsten Saison wieder Trauben erzeugt.
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Wenn du etwas Gutes getan hast und jemand anderes hat davon profitiert, warum bist du so töricht und erwartest obendrein noch Anerkennung für die gute Tat und einen Gefallen als Gegenleistung?
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Wem oder welchem Dienst ist meine Seele verpflichtet? Frage dich das ständig und prüfe dich, indem du beobachtest, wie du dich zu deinem Leitprinzip verhältst. Wessen Seele habe ich nun? Die eines Kindes, eines Jugendlichen … Eines Tyrannen, eines Haustieres oder einer wilden Bestie?
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Wenn du auf dem Pfad der Vernunft voranschreitest, werden dir Menschen im Weg stehen. Sie können dich nicht davon abhalten, das zu tun, was vernünftig ist, also lasse sie nicht deinen guten Willen ihnen gegenüber zunichtemachen. Behalte stets beide Seiten im Blick, nicht nur für ausgewogenes Urteilen und Handeln, sondern auch um der Freundlichkeit willen, mit der du jenen begegnest, die dich auf deinem Weg behindern oder dir anderweitig Schwierigkeiten bereiten. Denn wütend zu werden ist ebenfalls eine Schwäche, wie wenn man seine Aufgabe vernachlässigt oder aus Panik die Segel streicht. Beides kommt einer Fahnenflucht gleich – das eine ist ein Zurückziehen, das andere die Abkehr von Familie und Freunden.
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Meinem freien Willen ist der freie Willen meines Nachbarn ebenso gleichgültig wie sein Atem oder Körper. Auch wenn wir für das Miteinander geschaffen sind, behält das Leitprinzip unserer Seele die Entscheidungsgewalt. Wäre dies nicht der Fall, könnte das Böse in jemand anderem uns schaden. Gott hat nicht beabsichtigt, dass jemand anderes mein Unglück bestimmt.
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Jede Seele wird gegen ihren Willen der Wahrheit beraubt, hat Platon gesagt. Dasselbe gilt für Gerechtigkeit, Selbstbeherrschung, Wohlwollen anderen gegenüber und jeder weiteren ähnlichen Tugend. Es ist wichtig, sich das stets zu vergegenwärtigen, denn es wird dich gegenüber anderen nachsichtiger machen.
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Wer unrecht tut, handelt gegen die Götter. Denn die Natur unseres Universums hat vernunftbegabte Wesen für einander geschaffen, damit sie sich gegenseitig zu Nutzen sind und sich in den wahren Werten unterstützen, nicht damit sie sich schaden – darum handelt derjenige, der die Gesetze der Natur bricht, gegen die ältesten Götter.
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Wenn es dir schwerfällt, morgens aufzustehen, denke daran, dass du von Natur aus dafür vorgesehen wurdest, mit anderen zu arbeiten, während selbst vernunftlose Tiere den Schlaf mit dir teilen. Es ist unsere Bestimmung, sie entspricht unserem Wesen und macht uns zufriedener.
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Nimm etwas ohne Stolz an und gib es bereitwillig wieder her.
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Ungerechtigkeit liegt oft in dem, was du nicht tust, nicht nur in dem, was du tust.
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Wenn du etwas Besseres im menschlichen Leben findest als Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Selbstbeherrschung und Tapferkeit, kurzum, etwas Besseres als das, was deiner eigenen Denkweise angemessen ist, die dich handeln lässt, so wie es die wahre Vernunft erfordert, und dich dein Schicksal akzeptieren lässt, welches du nicht selbst bestimmen kannst – so sage ich dir, wenn du etwas siehst, das besser ist, dann öffne ihm dein Herz und deine Seele und genieße alle Vorzüge dieses größeren Guts, das du gefunden hast.
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Diese Gurke ist bitter, also wirf sie weg! Es sind Dornen auf diesem Pfad, also halte dich fern! Genug gesagt. Warum viel nachdenken über die Existenz von Ärgerlichem? Mit solchen Gedanken machst du dich zum Gespött all derer, die ernsthaft die Natur studieren, ebenso wie ein Tischler oder Schuster lachen würde, wenn du darauf hinweisen würdest, wie viel Sägemehl und Späne in ihrer Werkstatt auf dem Boden liegen. Doch während diese Handwerker in ihrer Werkstatt Mülleimer bereithalten, hat die Natur nichts dergleichen.
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Wo auch immer ein Mensch leben kann, da kann er auch gut leben. Auch am Hofe braucht es Leben, auch dort kann man gut leben.
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Tue das, was die Natur von dir verlangt, genau jetzt. Mache dich gleich daran, wenn es dir möglich ist. Schau dich nicht erst um, um zu sehen, ob andere Menschen davon erfahren werden. Hoffe nicht auf die Perfektion von Platons Staat, sondern sei schon mit dem kleinsten Schritt in die richtige Richtung zufrieden und feiere das Ergebnis als eine große Leistung.
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Mache dir nicht mehr vor als das, was die ersten Eindrücke dir mitteilen. Dir wird mitgeteilt, dass jemand schlecht über dich redet. Das ist die Mitteilung – es wurde nicht gesagt, dass dir daraus ein Schaden entsteht. Ich sehe, dass mein Sohn krank ist – aber sein Leben ist nicht in Gefahr. Bleibe also immer bei den ersten Eindrücken und belaste sie nicht mit irgendwelchen Gedanken – so wird dir nichts geschehen.
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Du hast zahllose Mühsal ertragen – alles nur, weil du deine Entscheidungsgewalt nicht genutzt hast, wofür sie geschaffen ist – es reicht jetzt.
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So wie jede Person ihre Verstandeskraft aus den rationalen Dingen zieht, so funktioniert auch diese Kraft: Wie die Natur jedes Hindernis und jeden Widerstand zu ihrem eigenen Nutzen verwendet, den Platz festlegt in der vorbestimmten Ordnung aller Dinge und diese vereinnahmt, so kann auch jeder rational denkende Mensch jedes Hindernis so nutzen, dass es zum Vorteil für seine Ziele gereicht.
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Es heißt, wenn du innere Ruhe suchst, beschäftige dich mit wenig. Aber wäre dies nicht ein besseres Motto: ›Tu, was du musst, und zwar so, wie es von einem rationalen Wesen, das in öffentlichen Ämtern steht, erwartet wird.‹ Denn dies bringt nicht nur die innere Ruhe, die man auch erlangt, wenn man nur wenige Dinge tut, sondern den tiefen inneren Frieden, der einkehrt, wenn man seine Sache gut gemacht hat. Da der Großteil unserer Worte und Taten unnötig ist, sollten wir sie begrenzen – das wird zu reichlich Ruhe und Muße führen. Dementsprechend sollten wir uns in jedem Moment daran erinnern, uns zu fragen: Gehört dies zu den unnötigen Dingen? Wir müssen aber nicht nur unnötige Taten begrenzen, sondern auch unnötige Gedanken, damit sie keine unnötigen Taten nach sich ziehen.
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Es ist wichtig, dass die Beachtung, die du jeder Tat beimisst, proportional zu ihrem Wert steht, denn dann wirst du nicht so schnell müde werden und aufgeben, was passiert, wenn du dich mit Kleinigkeiten beschäftigst, die mehr Aufmerksamkeit beanspruchen, als sie verdienen.
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Wann immer du dich über die Fehler von jemandem ärgerst, richte deine Aufmerksamkeit sogleich auf ähnliche Fehler, die dir selbst unterlaufen sind – etwa, Geld oder Freuden oder etwas Ruhm als ein erstrebenswertes Gut anzusehen – oder was auch immer es sei. Wenn du darüber nachdenkst, wird dein Ärger schnell verfliegen, denn dir wird klar, was ihn antreibt – wie hätte er anders handeln können? Doch wenn es dir möglich ist, dann hilf ihm, seine Wünsche zu überwinden.
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Versuch einmal, auf andere Weise zu bitten und schau, was dann passiert – anstatt nach einem Weg zu suchen, wie du die Frau in dein Bett bekommst, bitte nach einem Weg, wie du aufhören kannst, Verlangen nach ihr zu verspüren. Anstatt nach einer Lösung zu suchen, wie du jemanden loswirst, bitte nach einer Lösung, wie du aufhören kannst, dich nach seinem Verschwinden zu sehnen. Anstatt nach einem Weg zu suchen, wie du dein Kind nicht verlierst, suche nach einem Weg, die Angst davor zu verlieren.
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Was, wenn jemand mich verachtet? Lass ihn. Ich werde sicherstellen, dass ich nichts Verachtenswertes sage oder tue. Was, wenn jemand mich hasst? Lass ihn. Ich werde sicherstellen, dass ich zu allen gütig und freundlich bin, und ich werde bereit sein, selbst dem, der mich hasst, zu beweisen, dass er sich irrt. Nicht durch Kritik, oder um mit meiner Geduld anzugeben, sondern von Herzen und mit guten Absichten.
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Wenn du Schmerzen erleidest, denke daran: Es ist nichts, wofür du dich schämen musst und es kann deine Vernunft nicht schmälern oder dich davon abhalten, rational und zum Wohle des Gemeinwesens zu handeln. In den meisten Fällen hilft der Ausspruch von Epikur, der besagt, dass Schmerzen weder unerträglich noch unendlich sind, also denke an diese Grenzen und überschreite sie nicht noch in deiner Fantasie. Bedenke, dass viele Ärgernisse eigentlich versteckte Schmerzen sind, zum Beispiel Erschöpfung, Fieber und Appetitlosigkeit. Wenn sie dir zu schaffen machen, sage dir, dass du den Schmerzen nachgibst.
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Denke daran: Deine Meinung zu ändern und dich von jemandem verbessern zu lassen, erfolgt in Übereinstimmung mit deinem freien Willen. Denn die Handlung ist allein deine – sie soll ihren Sinn erfüllen, entsprechend deinem Impuls, deinem Urteil und ja, auch entsprechend deiner Intelligenz.
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Die Kunst des Lebens ähnelt mehr einem Ringkampf als einem Tanz, denn für ein kunstvolles Leben muss man stets gewappnet sein, plötzliche und unerwartete Angriffe abzuwehren.
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Wenn es den Anschein hat, dass die Umstände dich in ein Chaos stürzen wollen, sieh zu, dass du schnell die Selbstbeherrschung wiedererlangst. Lass dich nicht länger als nötig aus deinem Rhythmus bringen. Du kannst im Takt bleiben, wenn du immer wieder dorthin zurückkehrst.
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Denke daran: Dein Leitprinzip wird unbesiegbar, wenn du dich darauf fokussierst und dich darauf beschränkst, sodass es nichts gegen seinen eigenen Willen tun wird, selbst wenn seine Haltung irrational ist. Um wie viel unbesiegbarer bist du dann, wenn deine Urteile sorgsam und rational gefällt wurden? Deshalb ist ein Geist, der ohne Leidenschaften ist, eine uneinnehmbare Festung – zu keiner Zeit kann ein Mensch eine sicherere Zuflucht finden.
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Leuchtet das Licht einer Lampe und hält sein Schimmer nicht so lang, bis ihr Brennstoff aufgebraucht ist? Warum sollten die Wahrheit und die Gerechtigkeit in dir wie auch deine Selbstbeherrschung nicht so lange leuchten, bis du verloschen bist?
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Denke häufig über die Verflechtung und Wechselbeziehungen aller Dinge im Universum nach. In gewisser Weise sind alle Dinge miteinander verbunden und einander wesensverwandt. Eines erwächst aus dem anderen, abhängig von der Spannung der Bewegung, wohlwollenden Regungen und der Einheit alles Materiellen.
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Was nicht gut für den Bienenstock ist, ist auch nicht gut für die Biene.
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Wer einen Fehler macht, macht ihn zu seinem eigenen Schaden. Wer ungerecht ist, ist sich selbst gegenüber ungerecht – denn er wird zu einem schlechten Menschen.
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Es wäre so schön, das Gewünschte zu bekommen. Aber ist es nicht genau das, was die Freude uns vortäuscht? Überlege stattdessen, ob es dich nicht zufriedener macht, eine starke Seele, Freiheit, Ehrlichkeit, Güte und Frömmigkeit zu besitzen. Es gibt keine größere Freude als die Weisheit selbst, wenn du bedenkst, wie verlässlich und mühelos die Früchte des Verstehens und Wissens sind.
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Lasse die Vergangenheit hinter dir und überlasse die Zukunft der Vorsehung. Ehrfurcht und Gerechtigkeit sollen dich durch die Gegenwart führen. Ehrfurcht, damit du liebst, was dir beschieden ist, denn die Natur hat euch zusammengeführt. Gerechtigkeit, dass du aus freiem Willen und ohne Ausflüchte die Wahrheit sagst, und du handelst, wie es das Gesetz und der Wert der Dinge erfordern.
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Wie verdorben und verlogen ist ein Mensch, der behauptet, jetzt mal aufrichtig sein zu wollen. Was hast du im Sinn, werter Freund? Das sollte nicht einer Ankündigung bedürfen, sondern bereits zu sehen sein, als ob es auf deiner Stirn stünde, am Klang deiner Stimme zu erkennen, an deinem Blick, ganz so, wie ein Liebender am Glanz der Augen seines Gegenübers erkennt, dass er geliebt wird. Kurzum, ein ehrlicher und aufrichtiger Mensch sollte wie eine streng riechende Ziege sein – du weißt sofort, mit wem du in einem Raum bist.
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Die beste Art, dich zu rächen, ist, es ihm nicht gleich zu tun.
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Bist du wütend, weil dich der Achselschweiß oder der schlechte Mundgeruch von jemandem stört? Was soll das? Mund und Achsel können nun einmal schlecht riechen. Du sagst: Haben sie denn keinen Verstand? Merken sie nicht, dass sie andere stören? Du hast doch auch einen Verstand. Also nutze ihn und appelliere an den Verstand deines Gegenübers. Mache ihn darauf aufmerksam und weise ihn darauf hin. Wenn er dir zuhört, wirst du ohne unnötigen Ärger helfen können. Es ist also kein Drama und kein großes Buhei erforderlich.
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Alles hängt von deinen Mutmaßungen ab, und die liegen ganz bei dir. Verzichte bewusst auf vorschnelle Urteile und steuere dein Schiff so in ruhige Gewässer, schöneres Wetter und einen sicheren Hafen.
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Es gibt nichts Schlimmeres als einen Wolf im Schafspelz. Vermeide falsche Freundschaften um jeden Preis. Wenn du gutherzig, aufrichtig und wohlgesonnen bist, sollte das in deinen Augen zu sehen sein und ihnen diese Eigenschaften bei anderen nicht entgehen.
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Du hast auf all deinen Wegen nicht die Kunst des Lebens finden können – nicht im logischen Denken, nicht im Reichtum, Ruhm oder in anderen Genüssen. Nirgends. Worin besteht sie dann? Indem du das tust, was die Natur erfordert. Wie gelingt einem Menschen dies? Indem er seine Prinzipien zum Quell all seiner Wünsche und Handlungen macht. Welche Prinzipien? Die, die das Gute vom Bösen unterscheiden, und zwar der Glaube, dass es für einen Menschen nichts Gutes gibt außer dem, was Gerechtigkeit, Selbstbeherrschung, Tapferkeit und Freiheit hervorbringt, und nichts Böses außer dem, was diese Tugenden zerstört.
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Was für ein Benehmen! Die Leute wollen nicht ihre Zeitgenossen loben, mit denen sie zusammenleben, aber hegen große Erwartungen, von zukünftigen Generationen gelobt zu werden – von Menschen, denen sie noch nie begegnet sind und nie begegnen werden. Das ist fast so, als wärst du wütend, dass du nicht schon von früheren Generationen gelobt wurdest.
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Jemand mag gut darin sein, seinen Gegner zu besiegen, aber das macht ihn nicht uneigennütziger oder bescheidener, und es bedeutet nicht, dass er auf alle Lebenslagen gut vorbereitet ist und toleranter gegenüber den Fehlern seiner Mitmenschen.
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Die Menschen staunen nicht über deinen scharfen Verstand? So sei es. Aber du hast viele andere Qualitäten, von denen du nicht behaupten kannst, dass du ihrer von Geburt an beraubt wurdest. Zeige die Qualitäten, die in deiner eigenen Macht stehen: Ehrlichkeit, Würde, Ausdauer, Keuschheit, Genügsamkeit, Sparsamkeit, Freundlichkeit, Unabhängigkeit, Beständigkeit, Großzügigkeit und das Vermeiden von Geschwätz.
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Gehe tief in dich. Denn es gibt in dir eine Quelle des Guten, die nie versiegt, wenn du nur tief genug gehst.
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Eher findest du etwas Irdisches, das ganz von der Erde losgelöst ist, als einen Menschen, der sich ganz und gar von anderen Menschen abgekapselt hat.
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Auf dieselbe Weise, wie Leute gewöhnlich sagen, der Arzt hätte ihnen besondere Reitübungen, Eisbäder oder Barfußlaufen verschrieben, sollten wir die Natur betrachten, wenn sie uns Krankheit, Behinderung oder das Leiden durch andere Beeinträchtigungen verschreibt. Im Falle des Arztes bedeutet ›verschrieben‹, dass etwas angeordnet wurde, um jemanden zu heilen. Im Falle der Natur bedeutet das: Was uns auch geschieht, dies ist angeordnet worden, um uns zu helfen, unser Schicksal zu meistern.
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Es ist nichts Schlechtes dabei, wenn sich Dinge verändern, genauso, wie nichts Gutes daran ist, in einem neuen Zustand zu verharren.
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Das Universum ist Wandel, das Leben eine Einbildung.
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Denke zum Beispiel über die Zeiten unter Vespasian nach und du wirst Folgendes sehen: Menschen, die heiraten, Kinder aufziehen, krank werden, sterben, Kriege führen, Feste feiern, Handel treiben und den Acker bestellen. Sie schmeicheln einander, spielen sich auf, sind argwöhnisch, spinnen Intrigen, wünschen anderen den Tod, beklagen sich über ihr Schicksal, häufen Reichtümer an, sehnen sich nach Ämtern und Herrschaft. Nun sind sie längst tot und vergangen … In den Zeiten unter Trajan wiederholt sich alles …
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Wenn du wegen eines Ereignisses verzweifelt bist, ist es nicht die Sache selbst, die dir Sorgen bereitet, sondern nur, wie du sie beurteilst. Diese Beurteilung kannst du von jetzt auf gleich löschen.
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Wenn wir nur die Dinge als gut oder böse erachten, über die wir zu entscheiden ermächtigt sind, gibt es keinen Grund, den Göttern Vorwürfe zu machen oder andere Menschen zu hassen.
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Lass niemanden mehr dein Gejammer über das öffentliche Leben anhören, nicht einmal dich selbst!
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Denke möglichst oft daran, wie geschwind alles, was existiert und entsteht, an uns vorüberzieht und verschwindet. Denn das Sein ist wie die unendliche Strömung eines Flusses, die Tätigkeiten verändern sich fortwährend und die Ursachen nehmen immer wieder neue Gestalt an, sodass fast nichts zum Stillstand kommt.
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Wenn du die Gegenwart gesehen hast, hast du alle Dinge gesehen, von den Urzeiten bis weit in alle Ewigkeit. Denn alles, was geschieht, ist miteinander verwandt und gleichartig.
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Wir sind wie Weihrauchkörnchen, die auf denselben Altar fallen. Manche vergehen früher, manche später, aber das macht keinen Unterschied.
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Wie befriedigend ist es, erschreckende oder unbequeme Vorstellungen auszublenden und zu verdrängen, um sofort seinen Seelenfrieden zu finden.
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Wenn jemand einen Fehler begeht, mache ihn höflich darauf aufmerksam und verbessere ihn. Wenn du das nicht kannst, gib dir selbst die Schuld – oder niemandem.
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Jammere nicht und rege dich nicht auf.
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Der Mensch, der in allen Dingen seiner Vernunft folgt, wird die nötige Muße haben und die Bereitschaft zu handeln – er ist zugleich heiter und gelassen.
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Alles, was du tust, sagst oder vorhast, tue es, als wärest du ein Sterbender.
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Benimm dich nicht, als ob du für immer leben könntest. Was das Schicksal vorbestimmt hat, schwebt schon über dir. So lange du lebst und so lange du kannst, werde jetzt ein guter Mensch.
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Betrachte das Leben, das du bislang geführt hast, als beendet. Nun, als Toter, nimm das, was noch übriggeblieben ist, wie eine Belohnung und lebe im Einklang mit der Natur. Nimm das, was das Schicksal dir in den Schoß legt, gerne an und handele danach – was wäre angebrachter?
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Wandle die lange Galerie der Vergangenheit entlang, vorbei an der zahllosen Abfolge von Kaiserreichen und Königreichen. Und du kannst auch die Zukunft erblicken, denn sicherlich wird sie haargenau so sein – es ist unmöglich, vom jetzigen Rhythmus abzuweichen. Es ist egal, ob wir 40 Jahre erleben oder ein Zeitalter. Was wird es schon Neues zu sehen geben?
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Du machst dir doch auch keine Sorgen, weil du nur soundso viel wiegst und nicht das Doppelte, oder? Also warum irritiert es dich dann, dass du nur eine bestimmte Lebensspanne hast und nicht mehr? Mit der Zeit, die dir gegeben ist, solltest du ebenso zufrieden sein wie mit deinem Gewicht.
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Bald wirst du sterben, doch du bist noch immer nicht ehrlich, noch immer bist du verstört und fürchtest, dass äußere Dinge dir Schaden zufügen könnten, noch immer bist du nicht allen gegenüber milde, obwohl du weißt, dass Weisheit und gerechtes Handeln ein und dasselbe sind.
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So entwickelt man einen perfekten Charakter – indem man jeden Tag verbringt, als sei es der letzte – ohne Hast, ohne Faulheit, ohne Vortäuschung.
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Sowohl Alexander der Große als auch sein Eselstreiber wurden durch den Tod an den gleichen Ort gebracht – sie wurden entweder in die alles generierende Ratio aufgenommen oder zwischen den Atomen verstreut.
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Betrachte das Universum, die Materie, und wie wenig du daran Anteil hast. Denke an die Zeitläufe und wie kurz – nur ein Augenblick – dein Anteil daran ist. Denke an die Fügungen des Schicksals und wie unendlich klein deine Rolle darin ist.
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Es ist eine Schande für das Leben, wenn die Seele zuerst aufgibt, während der Körper sich dagegen wehrt.
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Alles ist nur von kurzer Dauer: Was sich erinnert und was in der Erinnerung festgehalten wird.
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Hör auf herumzuirren! Du wirst im fortgeschrittenen Alter nicht deine eigenen Tagebücher lesen, auch keine Geschichtsbücher oder Anthologien, die du gesammelt hast. Kümmere dich um die Ziele des Lebens, trenne dich von leeren Hoffnungen, handle um deiner Rettung willen – wenn du dich überhaupt um dich kümmern willst – und tue dies, solange du es kannst.
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